Prelude

 

Meine Eltern gaben mir den Namen Johana.  Die Endung '-ova' meines Nachnamens steht im Tschechischen für das Genitivum, dh. die Frau oder Tochter aus dem Stamm des Munzar. Mein Vater Munzar ist Schauspieler, meine Mutter Munzarova ist Marionnettistin. Mein Stiefvater ist Autor und Schriftsteller und meine Tochter ist mein Ein und Alles.

 

Das Schreiben ist eine abenteuerliche Reise in die dunklen Ecken hinter die beleuchtete Bühne des Lebens. Eine Reise so weit,  dass sie über den Blog hinaus geht und zur Form eines Buches wird. Sobald ich angekommen bin, gebe ich bescheid.

 Ich freue mich darauf!

 

Johana Munzarova  06/ 2023


Leserstimmen

es war genauso, wie es beschrieben ist.
Die "Leichtigkeit des Seins" in der Jirečkova ulice war wunderbar und es ist schön, daß es jemand so gut erzählen kann und noch viel schöner ist, dass dieser Jemand Johana ist und sich genauso gut an die Zeit erinnert, denn das Beste am Schreiben ist die Möglichkeit, die Zeit für einen Moment mit Buchstaben zu stoppen und so die Minuten, die eigentlich ganze Jahre dauern, - /obwohl es wissenschaftlich nicht ganz bewiesen ist/ - wieder zurück zu holen.

Ivan Kraus 


Was für eine wunderschöne Idee!
Da würde ich gerne mehr erfahren!�❤️

 

Angelika Fanai-Nimmesgern

  • Ich sehe sie vor mir, die kleine Johana mit ihrem roten Koffer… Umarme dich ganz fest und freu mich auf alles Weitere ❤️

  • Gabi Saler

Tesim se....milujete zivot..to mne nekdy chybi. Budu cerpat..teda ne vodu..A NEBO..prece jenom..vodu zivou..jak v pohadkach..

 

Jana Trumpf



Leseprobe / Auszug aus "Der Koffer meiner Kindheit "

Copyright Johana Munzarova

M wie Mama

Jireckova Ulice, Prag.

Hier wohne ich mit meiner Mama und deren Mama. Ich habe ein grosses Zimmer nur für mich alleine.

Aus dem Fenster sehe ich auf die andere Straßenseite. Ich bin in der ersten Etage. Das ist von Vorteil, denn einmal, als die Fassade gestrichen wurde und das Haus mit einem Gerüst eingezäumt war, kamen wir nach Hause und Mama hatte ihre Schlüssel vergessen. Und Oma war nicht daheim. Aber mein Fenster war leicht offen und so kletterte meine Mama am Gerüst zu meinem Fenster, öffnete es und stieg wie eine erfahrene Einbrecherin in unsere Wohnung ein, um uns dann durch die Tür hereinzulassen.

 

Aber Mama ist keine Einbrecherin. Sie arbeitet im Fernsehen. Sie bringt die Puppen und Marionetten in den Kindersendungen zum singen, tanzen, laufen, sitzen. Manchmal spricht sie auch für sie.

Meine Mama kann jedes Stück Holz, Stoff oder Wolle zum Leben erwecken. Sie kann das so gut, dass man sie vollkommen vergisst und nur noch auf die Puppe schaut, die sich so lebendig und echt beweg, sobald meine Mama sie in die Hände nimmt. Wenn sie dann die Puppe aus den Händen legt, liegt da nur ein Stück Holz, Stoff, reglos, bewegungslos, ausdruckslos. Ohne Mamas Hände gibt es kein Leben. Meine Mama ist  sehr mächtig.

Und sie kann durch Fenster in Wohnungen steigen.

 

Copyright Johana Munzarova


P wie Papa

 In unserer Wohnung habe ich ein eigenes Zimmer. Das führt in eine große Diele, von der aus man in die anderen Zimmer, das Bad, die Küche und auch durch die Wohnungstür, nach Außen gelangen kann. Durch diese Wohnungstür kommt immer mein Papa herein um mich abzuholen. Er steht nur so da, lacht mich an, öffnet seine Arme und ich nehme Anlauf durch die lange Diele und fliege zu ihm. Er fängt mich auf - immer. Die Diele ist etwas dunkel, denn die Fenster sind nur in den Zimmern, aber jedes Mal, wenn mein Papa in der Wohnungstür steht, wird es hell. Er hat blonde Haare und warme, feste Arme. Und ein strahlendes Lächeln. Er kann Licht herzaubern - aber er ist kein Zauberer. Er arbeitet in dem großen, schönen Gebäude mit dem blau-goldenen Dach, das am Ufer der Moldau steht. Dorthin kommen immer viele Menschen, um meinen Papa zu sehen. Er hat einen schönen Beruf, denn er sagt immer, er gehe spielen. Ich finde das schön, dass mein Vater spielen geht und nicht arbeiten, wie die Väter der anderen Kinder.

 

Mit mir spielt er auch immer, an den Wochenenden, wenn wir zusammen sein können. Er hat ein kleines Häuschen am Stadtrand, dort wohnt er mit seiner zweiten Frau und deren Tochter, die so klein ist, wie ich.

Bei Papa wird immer gespielt. Morgens spielen wir Nordpol und werden juchzend und kreischend mit kaltem Wasser abgeduscht und trocken gerubbelt. Dann gehen wir in den Wald auf Abenteuer, bis hin zu einer großen Wiese. Am anderen Ende der Wiese ist ein kleiner Flugplatz mit kleinen Flugzeugen. Viele haben ganz lange Flügel und keinen Motor. Die werden von einem anderen kleineren Flugzeug, das Motor hat, in die Luft gezogen. Wir liegen zu dritt im Gras, schauen in den Himmel und sehen, wie die Flugzeuge sich in die Lüfte heben und dort lautlos schweben - und unsere Herzen, unsere Wünsche, unsere Gedanken fliegen mit. Auf dem Rückweg hebt uns Papa auf eine Mauer aus Holz und Steinen, die ist  größer als er, und stellt sich unten hin, öffnet seine Arme und sagt: „Spring, ich fang dich auf!“

Ich springe. Mein Papa fängt mich auf - immer.

Und er kann spielen.

 

Copyright Johana Munzarova


L wie Libuse

Libuše ist die Mutter meiner Mutter, also meine Oma. Sie will aber nicht, dass man Oma zu ihr sagt, das mache sie alt, sagt sie. Also nennen wir sie beim Namen: Libuše.

Sie hat einen schönen Namen. Libuše, die Kaiserin der Přemysl-Dynastie, sah vor ihrem geistigen Auge eine große Stadt, als sie auf die Moldau blickte. Sie gründete Prag.


Meine Libuše geht jeden morgen aus unserer Wohnung in der Jirečkova Ulice in Prag früh morgens arbeiten.

Sie leitet eine Porzellan - Abteilung eines Kaufhauses. Manchmal passt sie auf mich auf, aber dann nur abends oder am Wochenende, wenn ich nicht bei Papa bin. Sie ist fleissig, beschäftigt, immer in Bewegung, wie meine Mama. Manchmal bekommt Libuše Besuch von ihrem Bekannten, mit dem sie dann ausgeht. Er heisst Kratochvíl und ist immer stilvoll und elegant gekleidet, überaus höflich und lächelt. Er begrüßt sogar kleine Kinder , wie mich, mit einer kleinen Verbeugung, bei der er seinen Hut abnimmt. Ich mag das.


Libuše lässt mich regelmässig in Ihrem Zimmer schlafen . Wir stellen zwei große Ohrensessel zusammen und dort ist dann mein Bett. Es ist kuschelig, geborgen und warm. Libuše legt sich dann in ihr Bett, macht das Licht aus und wir liegen - jede in ihrem Bettchen - im dunklen Zimmer, schauen auf das Lichterspiel an der Zimmerdecke, dass die Straßenlaternen und die vorbeifahrenden Autos uns bereiten und erfinden Geschichten.

Jede erzählt ein Stückchen und die andere muss dann weiter erzählen. So reisen wir zu der Insel der Pinguine, die weit weg, zwischen dem blauen Meer und dem blauen Himmel, liegt und wo der kleine Pinguin mit Mama und Papa lebt. Er nimmt auch kalte Duschen morgens mit seinem Papa, und seine Mama geht immer auf die Jagd, und ist fast nie da, damit er zu essen bekommt und gross und stark wird.

Der kleine Pinguin und ich sind uns sehr ähnlich - und Libuše weiß das.

 

Copyright Johana Munzarova


I wie Ivan

In der Jirečková ulice, wo ich mit meiner Mama und Libuše, die ich nicht Oma genannt werden will, lebe, und wo mich mein Papa immer am Wochenende abholt, habe ich ein Zimmer. Libuše hat auch eins und meine Mama hat auch eins. Ausserdem ist dort eine kleine Küche und ein Esszimmer, wo immer Besuch sitzt, wenn welcher da ist.

 

Und irgendwann ist auch Ivan da. Ivan ist ein guter Freund von Mama, denn sie lachen viel, wenn sie zusammen sind. Ivan wohnt nicht weit weg, bei seiner Mama und Papa und vielen Geschwistern. Es ist immer sehr laut dort, bei so vielen Menschen in einer Wohnung. Und es ist immer lustig. Wenn Ivans Geschwister auf mich aufpassen, veranstalten sie Olympische Spiele und bauen Hürden aus Tischen und Sofas auf und rennen im Kreis durch die Zimmer. Manchmal spielen sie auch mit mir als Ball und kippen mich hin und her. Wir gehen auch zusammen Schlittschuhlaufen in den Letná Park. Ivans kleiner Bruder ist älter als ich und er fällt immer hin und lacht. Ich glaube, er weiss dass ich Angst habe vor dem Eis und er fällt immer wieder hin und lacht. Ivans kleine Schwester, die auch grösser und älter ist als ich, hält immer meine Hand. Sie passen wirklich gut auf mich auf , die beiden. Es ist laut und lebendig in Ivans Familie. Ich kenne das nicht. Ich habe keine Geschwister und bin alleine, ausser wenn ich Papa besuche. Dann ist die kleine Tochter von Papas neuer Frau da. Die ist auch alleine und zusammen sind wir dann mit Papa und nicht so alleine.

 

In Ivans Familie ist niemand niemals alleine. Und still ist es dort auch nicht. Ich glaube, deshalb ist Ivan bei meiner Mama, Libuše und mir eingezogen. Er ist gerne still und sitzt in Mamas Zimmer und tippt auf einer kleinen Schreibmaschine. Er hat überall Bücher und Papier, raucht Zigaretten und denkt nach und tippt dann ganz lange auf der Schreibmaschine. Wenn er nicht tippt, redet er mit meiner Mama und liest ihr vor was er geschrieben hat. Er kann auch gut Witze erfinden und Worte so verdrehen, dass der Blödsinn Sinn macht. Ich glaube, wenn er seine laute, große Familie vermisst, fängt er an Blödsinn zu machen und lacht.

Ivan kann über alles lachen - am Meisten über sich selbst.

 

Das ist eine ganz tolle Sache - über sich selbst lachen. Ich konnte das nicht und Ivan hat mir das beigebracht, als ich noch ganz klein war - in der Jireckova Ulice in Prag.

 

Copyright Johana Munzarova


Die Nacht im August

Meine Mama und Ivan haben Freunde. Mit diesen Freunden treffen sie sich oft und erfinden Geschichten, basteln schöne, bunte Dinge, mit denen sie dann im Dunkeln auf der Bühne spielen.

Ich finde das schön wenn große Leute spielen. Sie lachen viel, streiten sich auch und zum Schluss zaubern sie zusammen schöne Geschichten und Bilder auf die Bühne. Ich möchte auch so viel Spielen, wenn ich groß bin. Die Bühne ist ein schöner Spielplatz wo ich mich gut verstecken kann. Mama´s Freunde zeigen mir genau wo ich mich so gut verstecken kann, dass ich alles sehe aber niemand mich sieht. Und sie zeigen mir, worauf ich aufpassen muss: die gefährlichen Ecken, die Abgründe, die Stolperfallen, die Dunkelheit, das Licht und den Raum. Auf der Bühne wird das Spielen zu Magie. In der Garderobe werden die Magier wieder zu normalen Menschen.

Es ist Sommer. Ich habe gerade meinen sechsten Geburtstag gefeiert. Mama, Ivan, Ihre Freunde und ich sind in Brünn in einem kleinen Hotel. Nebenan ist ein Kinosaal mit einer Bühne. Tagsüber dürfen sie dort ihre Spiele üben. Proben, nennen sie das. Und draußen in der Sonne im Hof werden die Spielsachen entworfen, hergestellt, repariert – Requisiten, nenne sie das. Ich darf im Hof und im leeren Kinosaal auch spielen, nur nicht mit den großen Leuten. Das ist aber nicht schlimm, denn so habe ich diesen Spielplatz für mich. Auf der Bühne darf ich alles leben und alles sein. Dort bin ich allein und sicher.

Abends werden manchmal Filme auf dieser Bühne gezeigt. Da fährt eine große weiße Leinwand herunter und auf der sehen wir  größere Bilder als zu Hause im Fernsehen. Eines Abends wird ein schöner Film gezeigt in dem getanzt und gesungen wird. Das sei ein Musical, sagt meine Mama und es heiße My Fair Lady. So möchte ich auch gerne spielen, mit schöner Musik und Tanz. Als wir aus dem Kino kommen, zeige ich meiner Mama, dass ich mir gut gemerkt habe wie sie getanzt und gesungen haben. Alle finden den Film schön und lachen viel auf dem Weg ins Hotel. In der Ferne donnert es ein paarmal. „ Sommergewitter“ sagt jemand. „ Nee… sie sind da“ sagt Ivan.

Am nächsten morgen sind die Straßen leer. Außer Soldaten und Panzerwagen ist niemand draußen. Ich darf auch nicht ins Kino spielen gehen. Wir bleiben alle in einem Hotelzimmer. Mama, Ivan und Ihre Freunde hören Radio, aber da kommt keine Musik. Nur viele Nachrichten. Ich bin neugierig warum ich heute nicht raus gehen darf,  im Kino spielen. Ich ziehe den Vorhang am Fenster zur Seite um zu schauen, ob die Soldaten noch da sind.

„Geh vom Fenster weg! Sie schießen auf dich ! “ höre ich jemanden im Zimmer schreien.

Und dann habe ich Angst. Ich habe Angst, weil sie da sind.

Copyright Johana Munzarova


A wie Abschied

Zum sechsten Geburtstag bekomme ich eine kleine Puppe geschenkt. Ich nehme sie überall mit. Auch auf den Weg zur Schule. Dorthin bringt  mich Tante Tonja, wenn Mama mit Ihren Puppen im Fernsehen spielt. Wir müssen nur ein große Straße überqueren und am Ende der kleinen Straße, wo der Park anfängt, ist die Schule. Beim Laufen zeige ich meiner Puppe die Häuser, die Autos und die Panzer, die an der Kreuzung stehen. Und die Männer mit den Gewehren, die auf den Panzern sitzen. Sie bewegen sich nicht. Tante Tonja sagt, ich soll nicht gucken und einfach schnell weitergehen. Also laufen wir weiter. Zu meiner Puppe sage ich, sie soll keine Angst haben.

 

In der Schule bin ich manchmal dran, mit der Glocke auf dem Gang zu läuten, damit alle wissen, dass Pause ist und aus den Klassenzimmern herauskommen. Ich läute dann sehr laut und lange, damit alle schnell rauskommen und ich nicht mehr so alleine bin im Gang und den Panzern am anderen Ende der Straße.

 

Ich lerne den Buchstaben A B und C und die Zahlen 1,  2 und 3. Dann sagt Mama, dass wir auf Reisen gehen.

 

Ich darf meinen roten Koffer mitnehmen und packe Buntstifte ein und meine kleine Puppe. Mama und Ivan haben auch jeder einen Koffer. Alle drei stehen jetzt im Flur und warten auf die Reise morgen.

Papa kommt und wir umarmen uns ganz fest. Ich kann fühlen, dass er weint. Dann geht er schnell, er muss spielen gehen, in das große Haus mit dem blauen Dach an der Moldau. Ich glauben, er ist traurig, dass ich auf Reisen gehe.

 

Am nächsten Morgen sind alle drei Koffer und wir in Mamas Auto. Das Auto ist weiß und klein und rund.

Wir nennen es `Fiatko`.

 

Oma Libus und Tante Tonja stehen am Hauseingang und winken. Ich glaube, dass sie auch weinen. Mama dreht noch mal um und fährt die Straße rauf und runter. Ich winke durch das kleine Autofenster zurück. Ich winke ganz fest, damit Oma Libus und Tante Tonja nicht so traurig stehen bleiben am Hauseingang in die Jireckova Ulice 12.

 

Wir fahren.

Wir sind auf einer Straße, die gesperrt ist mit einer langen, rot-weißen Stange.

"Die Grenze", sagt Mama.

Hier sind große Männer und schauen zu uns in unser Fiatko und wollen Papiere sehen.

Ivan und Mama  geben den Männer die Papiere und die lesen alles ganz genau.

Dann öffnet sich die große Stange leise nach oben und Mama fährt ganz langsam weiter.

Sie und Ivan sind sehr still.

Ich schaue wieder durch das kleine Autofenster zurück.

Die rot-weiße Stange kommt leise herunter und sperrt die Straße hinter uns wieder zu.

 

Jetzt kann ich wieder nach vorne schauen und bin neugierig, was hinter der Grenze ist.

Jetzt sind Mama und Ivan nicht mehr so still. Mama  hält an und sie steigen aus.

Ivan lacht und schlägt einen Purzelbaum im Gras.

" Wo sind wir jetzt ? ", will ich wissen.

" In der Freiheit ",  sagt Mama.

Das klingt schön und ich erkläre das meiner Puppe, damit sie weiß, dass es Grenzen gibt und dass man in der Freiheit Purzelbäume schlagen kann, wenn man sie überquert.

 

Copyright Johana Munzarova